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Presseartikel (Junge Welt, 08.11.2001)

Deutschlandparabel

Von der Duisburger Filmwoche


Von Michael Girke


Wer das Werk des Schriftstellers Thomas Pynchon ein wenig kennt, weiß, wie er die Flugbewegung einer A4 (V2)-Rakete historisch und ästhetisch nutzt: für einen Flug durch die Geschichte, einer Montage ihrer vielen Zwangsvorstellungen, Fehlstarts, Höhenflüge und Abstürze. Pathetisch gesagt: Genau dieser Bewegung kann, an einem guten Tag, der Besuch eines Filmfestivals entsprechen, eines Dokumentarfilmfestivals wie dem in Duisburg zumal. Und so wurde der Dienstag zu einem Zeitsprung in deutsche Vergangenheiten, Gegenwarten und Utopien.
Der auch unter seinem Künstlernamen Strawalde bekannte Jürgen Böttcher zeigte in »Konzert im Freien« nicht nur DDR-Freejazz-Legenden am Marx-Engels-Denkmal in der Mitte von Berlin spielen, sondern auch, wie sie es als Musikinstrument nutzen – ein famoser filmischer Moment, wenn ein deutscher Repräsentationsbau neu kontextualisiert und genutzt wird und dabei auf Spielzeuggröße schrumpft. Das ist so, als ob Christo und Jean Claude den Reichstag vor ein paar Jahren in deutsches Butterbrotpapier verpackt hätten.
Robert Bramkamps »Prüfstand 7«, zunächst projektiert als Film über den Raketenmythos, griff dann tatsächlich auf den Interessen-, Figuren- und Große-Sätze-Fundus von Thomas Pynchons Roman »Gravitys Rainbow« zurück und ist zu einer so gespenstischen wie lustigen Reise an spezifische deutsche Orte (zum Beispiel Peenemünde und Mittelbau Dora) und in deutsche Vorstellungswelten geworden.
Bramkamps Film ist vieles in einem: Ein großartiger Bilderpool zu Zusammenhängen zwischen Hightech und Holocaust, zwischen Furcht vor dem Sterbenmüssen, Unsterblichkeitswunsch und Todessehnsucht; ein Film, der eine radikale Kritik ist an der Art, wie Geschichte in Kino, TV, Feuilleton aufbereitet wird und der zugleich selber eine umfassendere Konzeption von Geschichte ist, die ganz selbstverständlich und fulminant wie sonst nur noch
Achternbusch oder Godard eine zentrale Frage des Films beantwortet: Wie das sogenannte Fiktive und das sogenannte Dokumentarische nicht zu trennen sind.

Den Artikel finden Sie unter:
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Junge Welt 2001
Erscheinungsdatum 08.11.2001